ESSAY
14.01.2023
Trotz unseres immensen Wissens gibt uns die Welt weiterhin viele Rätsel auf. Deshalb ist es wichtig, sich im Klaren darüber sein, was man weiß und was nicht. Aber wie erkennt man überhaupt, ob man etwas weiß oder nur einen auf Schlau macht?
Foto: Max Langelott / Unsplash
Zur Frage, was Wissen eigentlich ist, hat die antike griechische Philosophie Pionierarbeit geleistet. Im Dialog Theaitetos nimmt Platon eine Definition von Wissen vor, die noch heute als Klassiker gilt: Wissen ist eine wahre, gerechtfertigte Überzeugung.
Um zu verstehen, was in diesem simpel daher kommenden Satz alles drinsteckt, zerlegt man ihn am besten in seine Bestandteile. Besonders deutlich werden die Bestandteile, wenn man nicht das Substantiv Wissen verwendet, sondern die Verbform wissen. Man erhält dann einen einfachen Aussagesatz wie Sophia weiß, dass der Klimawandel menschengemacht ist, der sich allgemein ausdrücken lässt in der Form: S weiß, dass p. Und dieser Aussagesatz kann nun wahr oder falsch sein. Nur wenn er wahr ist, verfügt die Person über das entsprechende Wissen. Die deutsche Philosophin Elke Brendel formuliert das in ihrem Buch Wissen wie folgt aus:
Eine Aussage „S weiß, dass p“ ist genau dann wahr, wenn die folgenden drei Bedingungen (i–iii) erfüllt sind:
(i) S ist davon überzeugt, dass p,
(ii) p ist wahr,
(iii) Ss Überzeugung, dass p, ist gerechtfertigt.
Wissen besteht demnach aus den drei Komponenten (oder Bedingungen) Überzeugung, Wahrheit und Rechtfertigung, auf die wir nun einen eingehenderen Blick werfen wollen.
Wenn eine Person von etwas überzeugt ist, dann drückt sich darin eine subjektive Sicherheit aus. Man ist sich subjektiv sicher, dass etwas tatsächlich der Fall ist, zum Beispiel, dass der Klimawandel auf menschengemachten Ursachen beruht. Von etwas überzeugt zu sein, spielt in der Definition von Wissen deshalb eine wichtige Rolle, weil es sonst zu merkwürdigen Aussagen kommen würde. Stell Dir vor, Sophia würde sagen: Ich weiß, dass der Klimawandel auf menschengemachten Ursachen beruht, aber ich bin nicht davon überzeugt. Das klänge irgendwie seltsam und widersprüchlich. Dennoch reicht es für Wissen nicht aus, nur von etwas überzeugt zu sein. Denn wie wir alle wissen, kann man subjektiv etwas für bombensicher halten, sich aber dennoch objektiv täuschen. Und hier kommt die Wahrheit ins Spiel.
Was eine Aussage wahr macht, ist ein weites Feld. In der Philosophie haben sich unterschiedliche Theorien dazu entwickelt, über die sich ein ganzer Stapel Miniaturen schreiben ließe. Ich möchte deshalb nur ganz kurz drei der wichtigsten Theorien nennen:
Im alltäglichen Leben spielen philosophische Wahrheitstheorien in der Regel keine große Rolle. Es wäre schlicht viel zu umständlich, sich bei jeder Aussage zu fragen, ob sie jetzt korrespondenztheoretisch, kohärenztheoretisch oder pragmatisch wahr ist. Wir nehmen stattdessen praktikable Abkürzungen. Eine der wichtigsten Abkürzungen ist die der Verlässlichkeit. Verlässlichkeit spielt gerade in unseren modernen Wissensgesellschaften eine wichtige Rolle. Denn ein nicht unerheblicher Teil unseres Wissens basiert auf Informationen, die von anderen Menschen oder Medien an uns herangetragen werden. Wer kein Experte auf dem Gebiet des Klimawandels ist, muss sich darauf verlassen, dass die Aussagen einer Person über den Klimawandel wahr sind. Die Abkürzung darf aber nicht so weit gehen, dass man sich auf Aussagen verlässt, nur weil sie vielleicht einfach zu verstehen oder sympathisch sind. Denn eine Aussage ist nur dann verlässlich, wenn die Person über die entsprechende Expertise verfügt oder man sich auf Personen mit entsprechender Expertise bezieht. Ist man an der Wahrheit der eigenen Aussage interessiert, muss man zumindest deren Verlässlichkeit gewissenhaft prüfen.
Jetzt könnte man meinen, eine wahre Überzeugung sollte für Wissen doch eigentlich ausreichen. Wozu das ganze noch rechtfertigen? Antwort: Weil eine gerechtfertigte Überzeugung bedeutet, dass man Gründe oder Beweise anführen kann, die die Überzeugung stützen. Denn was nützt mir eine wahre Überzeugung, wenn ich nicht sagen kann, warum sie wahr ist?
Im philosophischen Werkzeugkasten findet man für die Entwicklung von Gründen und Beweisen ein bewährtes Verfahren: die Argumentation. Ein Argument kommt in zwei Formen vor: als Begründung oder als Schlussfolgerung. Um eine Überzeugung zu rechtfertigen, argumentiert man in der Begründungsform. Man gibt Gründe an, warum man von etwas überzeugt ist. Gründe können ganz unterschiedlicher Art sein: Man kann sich auf die eigene Sinneswahrnehmung stützen, die Logik heranziehen, eine Analogie aufmachen oder eben: Sich auf eine Expertise stützen. Diese Art des Arguments nennt man in der Philosophie Berufung auf Autorität und es geht, am Beispiel des Klimawandels, wie folgt:
In den 1960er Jahren brachte der amerikanische Philosoph Edmund Gettier die klassische Definition Wissen ist eine wahre, gerechtfertigte Überzeugung mit zwei Gegenbeispielen ins Wanken. Seitdem sind Philosophinnen mit dem Feintuning der Definition beschäftigt, um sie gegen die Gettierschen Gegenbeispiele zu immunisieren. Aber das ist eine eigene Geschichte. Für den Alltagsgebrauch reicht die klassische Definition völlig aus.
Genau genommen spricht Elke Brendel von epistemischer Rechtfertigung. Epistemisch, von altgriechisch epistemé, Wissen/Erkenntnis, bringt zum Ausdruck, dass es um den reinen Sachverhalt geht und nicht beispielsweise um dessen moralische Beurteilung.
Platon – Theaitetos/Theätet. Ditzingen: Reclam, 2020
Brendel, Elke – Wissen. Berlin: Walter de Gruyter, 2013
Foto: Max Langelott / Unsplash. Motiv: Stadtbibliothek Stuttgart