EINFÜHRUNG
11.02.2024
Philosophie beschäftigt sich mit den grundlegenden Fragen menschlichen Daseins. Sie findet heutzutage überwiegend an Universitäten statt. Dort gehört sie zu den Geisteswissenschaften und produziert Wissen zu ihrem Forschungsgegenstand. Philosophie ist aber auch anders. Das erkennt man schon alleine an ihrem Namen.
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Philosophie beschäftigt sich mit den grundlegenden Fragen menschlichen Daseins. Diese grundlegenden Fragen werden gerne in vier Gruppen zusammengefasst:
Philosophie findet heutzutage überwiegend an Universitäten statt. Dort gehört sie zu den Geisteswissenschaften wie zum Beispiel die Soziologie oder die Politikwissenschaft. In diesem Rahmen ist Philosophie eine wissenschaftliche Disziplin, die zu ihrem Forschungsgegenstand, den grundlegenden Fragen menschlichen Daseins, Wissen produziert. Wie spezialisiert diese Wissensproduktion mittlerweile ist, kann man auf der Plattform philpapers.org bestaunen, auf der aktuell 2832671 wissenschaftlich-philosophische Aufsätze gelistet sind. Philosophie ist aber auch anders. Das erkennt man schon alleine an ihrem Namen.
Das Wort Philosophie stammt aus dem Altgriechischen philosophia. Philosophia besteht aus zwei Wortteilen philos, Freund oder Liebhaber and sophia, Wissen oder Weisheit. Ins Deutsche wird philosophia meist mit Liebe zur Weisheit übersetzt.
Allein ihr Name weist also schon darauf hin, dass Philosophie nicht nur eine Lehre ist wie Soziologie oder eine Kunde wie Erdkunde, sondern dass sie auch etwas mit unserer Haltung zum Leben zu tun hat. Und genau auf diese buchstäbliche Weise betrieben die Menschen Philosophie, mit denen alles vor 2500 Jahren im antiken Griechenland begann: Sokrates, Platon & Friends.
Im Vergleich zu allen anderen Wissenschaften, Studien- und Schulfächern hat Philosophie das wunderbare Alleinstellungsmerkmal, dass man sie auf zwei Weisen betreiben kann:
Liest man heute antike philosophische Texte, dann kann das ganz schön mühsam sein. Man trifft nicht nur auf eine 2000 Jahre alte Sprache bzw. deren Übersetzung, sondern auch auf Aussagen, die nicht zusammenzupassen scheinen, auf Widersprüche oder lose Enden.
Und damit nicht genug: Die Alten bedienten sich auch noch Genres, die nach heutigen Maßstäben völlig unphilosophisch sind. Sie verfassten: „Trostreden, Meditationen, Dialoge, Aphorismen und sogar Gedichte. Keiner dieser Texte würde es durch die redaktionelle Kontrolle einer heutigen philosophischen Zeitschrift schaffen, geschweige denn durch die eines Teams von Gutachtern.“ [Sharpe/Ure: Philosophy as a Way of Life]
Waren Sokrates, Platon & Friends also nur mittelmäßige Philosophen? Oder liegt der Fehler vielleicht in unserer modernen Lesart der alten Texte? Genau diese Frage stellte sich der französische Philosoph und Ideenhistoriker Pierre Hadot: Was wäre, wenn die Philosophen der Antike einfach ein anderes Verständnis von Philosophie hatten? Würden die scheinbaren philosophischen Mängel dann gar nicht als solche erscheinen?
Um herauszufinden, welches Verständnis von Philosophie in der Antike herrschte, las sich Hadot tief in die Texte und ihre historischen Umstände ein. Als erstes fiel ihm eine Sache auf: Philosophisch Interessierte schlossen sich damals einer Schule an, die eine der 6 philosophische Ausrichtung vertrat: der von Platon, Aristoteles oder Epikur, der Stoa, Skeptiker oder Kyniker.
Auch wenn die Schulen unterschiedliche Ausrichtungen vertraten, erkannte Hadot eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen ihnen: Sie nahmen Philo-Sophia, die Liebe zur Weisheit beim Wort. Es galt, sein Leben am Streben nach Weisheit auszurichten und nicht nur theoretische Abhandlungen darüber zu schreiben. Porphyrus, ein Philosoph der platonischen Schule, bringt das ganze auf den Punkt: Die Liebe zur Weisheit „besteht nicht in der Anhäufung von Argumenten oder einem Vorrat an gelehrtem Wissen, sondern sie muss in uns zur Natur und zum Leben selbst werden.“
Hadot schloss daraus, dass die antike Philosophie als ein Lebensstil zu verstehen sei, nämlich der, nach Weisheit zu streben. Die Texte dienten lediglich als Werkzeuge oder Trainings, um diesen Lebensstil zu realisieren. Aus dieser Perspektive lösen sich die philosophischen Mängel auf. Denn diese sind nur dann von Belang, wenn man die Texte als wissenschaftliches Paper versteht.
Was jetzt die alten Griechen genau unter einem philosophischen Lebensstil verstanden, lässt sich sehr schön am alternativen Begriff der Lebenskunst zeigen. Denn er geht wie der Begriff Philosophie auf eine Formulierung aus dem Altgriechischen zurück. Und erfunden hat ihn die philosophische Schule der Stoa (bzw. wird der Stoa zugeschrieben).
Der Begriff Lebenskunst hat seine Wurzeln im altgriechischen Ausdruck techné peri ton bion. Die beiden zentralen Begriffe in dem Ausdruck sind auch in die deutsche Sprache eingegangen: Techné in Technik und Bios in zusammengesetzten Worten wie Biologie oder Biographie.
Was nun die Stoiker genau unter Lebenskunst verstanden, kann man erkennen, wenn man sich diese beiden zentralen Begriffe etwas näher anschaut.
Bios ist das altgriechische Wort für Leben. Leben kann man zum einen wie in der Biologie verstehen: also die materiellen Strukturen, die ein Lebewesen zu einem Lebewesen machen, zum Beispiel Zellen oder Organe. Zum anderen kann man mit Leben aber auch das Leben einer individuellen Person meinen, wie sie lebt und was ihre Beweggründe sind, so zu leben – also dass, was man zum Beispiel in Biographien bekannter Persönlichkeiten lesen kann.
Das Leben in der Lebenskunst bezieht sich auf diese zweite, biographische Bedeutung von Leben. Es geht also darin um den Charakter einer Person, um die Taten und vor allem: um die Beweggründe hinter den Taten. Das Besondere daran ist, dass die Beweggründe etwas zu tun in unserer eigenen Macht liegen. Es sind innere Zustände, die wir steuern, kontrollieren und gestalten können. Anders sieht es bei externen, materiellen Gütern aus: Man kann sie gewinnen, man kann sie wieder verlieren oder man strebt danach, wird sie aber aufgrund äußerer Umstände nie erreichen. Sie liegen außerhalb unserer Kontrolle.
In der Lebenskunst geht es darum, das zu gestalten, was in unserer Macht liegt: Und das sind eben unsere Beweggründe und inneren Zustände.
Der Motor unserer inneren Zustände ist in der altgriechischen Bezeichnung die psyché. (Noch so ein Wort, das in das Deutsche eingegangen ist). Psyché wird im philosophischen Zusammenhang oft mit Seele übersetzt. Der Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung meint aber weder eine unsterbliche Seele wie im christlichen Glauben noch eine Psyche wie in der modernen Psychologie. Die Seele/Psyché im Verständnis der antiken Philosophie ist die Kraft eines Organismus zur Selbsterhaltung und Selbstgestaltung.
In der Lebenskunst geht es nun darum, die eigene Psyche in Richtung eines optimalen Funktionierens, eines optimalen Zustands zu steuern. Dieser optimale Zustand ist Eudaimonia, ein Zustand des Glücks und der Ruhe. Wörtlich übersetzt bedeutet Eudaimonia einen guten Dämon haben. Oder in heutigen Worten: Einen guten inneren Spirit.
Eudaimonia bedeutet zum einen, die Abwesenheit von negativen psychischen Zuständen wie Angst, Sorge, Neid, Gier oder unrealistischen Wünschen. Zum anderen bedeutet sie die Anwesenheit von positiven psychischen Zuständen, die aus Sicht der Stoa in Zuständen der Tugend, also menschlicher Vortrefflichkeit liegen: Großmut, Rücksichtnahme, Tapferkeit, Wertschätzung zum Beispiel. Eudaimonia ist ein Zustand frei von psychischen Turbulenzen, ein Wohlfluss, ein Flow des Lebens. Und mehr noch: Eudaimonia ist darüberhinaus auch ein Anzeiger für Sophia, für Weisheit. Ein Mensch, der sich im Zustand der Eudaimonia befindet, ist ein Sophos, ein weiser Mensch. Und ein Philo-Sophos ist ein Mensch, der nach Weisheit strebt und seine Kunst und sein Handwerk ist die Philosophie.
Was es nun mit dem zweiten zentralen Begriff, der Techné auf sich hat, folgt in der nächsten Miniatur. Stay tuned!